Elemente bringen den Strom in Fluss - Schwaben ist ein Hort der Wasserkraft Geschrieben am Samstag, 10. Februar 2007 von firmenpresse Von Alexander Hauk, HaukMedienArchiv

München/Augsburg (aha). Fast täglich, meistens nach der Arbeit, sieht Arno Zengerle im ehemaligen Sägewerk nach dem Rechten, liest den Stromzähler ab und prüft, ob das Wasser des Dorfbaches ungehindert fließen kann. Seitdem der Bürgermeister der Allgäuer Gemeinde Wildpoldsried vor eineinhalb Jahren das Gebäude in seiner Nachbarschaft gekauft hat, ist er Eigentümer eines kleinen Wasserkraftwerkes. «Sicher muss man mal nachfetten, im Großen oder Ganzen sind die Wartungsarbeiten aber minimal», sagt der Rathauschef über seine Anlage, deren Durchströmturbine bereits mehr als 50 Jahre alt ist. Sie ist eine von insgesamt 380 in Schwaben. In kaum einer anderen Region in Deutschland erzeugen mehr Wasserkraftwerke diesen emissionsfreien Strom.

Neben Zengerles Anlage - ebenfalls in ehemaligen Sägewerken - rauscht das Wasser durch die Turbinen zweier weiterer Kraftwerke in dem beschaulichen Örtchen. Es ist das alte Prinzip: Über ein Turbinenrad wird die Energie des Wassers in mechanische Rotationsenergie umgewandelt, und die treibt die Generatoren an. Der Bürgermeister relativiert den Nutzen: «Sie erzeugen zwischen zehn und 25 Kilowatt.» Damit spiele die Wasserkraft in Wildpoldsried zwar nur eine untergeordnete Rolle. Aber die Gemeinde sei bundesweit bekannt für ihre generell umweltfreundliche Stromerzeugung: Mehrere Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen liefern mehr Strom, als die 2500 Einwohner verbrauchen. Und momentan sei ein Windkraftwerk mit einer Leistung von 4,5 Megawatt in Planung. «Wenn es in Betrieb ist, erzeugen wir zweieinhalb Mal so viel Strom, wie die 900 Haushalte jährlich benötigen», sagt Zengerle zufrieden.

Das umweltfreundliche Wildpoldsried macht von sich Reden. Immer wieder darf Zengerle Politiker und Unternehmer begrüßen, die sich über die Energiepolitik des Ortes informieren wollen. Sogar aus Japan kamen schon Besuchergruppen. Natürlich, bei solchen Gästen wird Unterhaltung oft mit dem Nützlichen verbunden. «Auf dem Programm steht neben dem Münchner Hofbräuhaus und Schloss Neuschwanstein auch Wildpoldsried.» Der Bürgermeister schmunzelt in sich hinein. Seine Gemeinde profitiert von den Besuchern. Und das ist für ihn wichtig.

Sein kleines Wasserkraftwerk von der Firma Ossberger muss 15 Jahre Strom erzeugen, bis sich die Investitionskosten amortisiert haben. Das hat er sich ausgerechnet. Möglicherweise auch etwas länger. «Heuer läuft das Wasser relativ schlecht.» Zengerle zuckt die Schultern. Im Durchschnitt hat seine 25-Kilowatt-Anlage, deren Generator aber maximal für 15 Kilowatt ausgelegt ist, bisher nur 4 Kilowatt erzielt. «Manchmal könnte es schon ein wenig mehr Wasser sein.» So wie an diesem Tag: Die Messgeräte zeigen mal 9, mal 10, mal 11 Kilowatt Leistung an. Der Klimawandel macht sich auch bereits im Allgäu bemerkbar, glaubt Zengerle beobachtet zu haben: «Früher gab es hier immer wieder mal Niederschlag, in den vergangenen Jahren haben sich die Regenzeiten extrem verdichtet.» Die Folge war in diesem Jahr ein außergewöhnlich trockener Herbst.

Knapp acht Cent erhält Zengerle für die Kilowatt-Stunde, die er ins Stromnetz einspeist. Das Dorfoberhaupt präsentiert sich ganz als Unternehmer, der zusätzlich mit einer Photovoltaikanlage und einer Holzschnitzelanlage Strom erzeugt. Bis das Wasser vom Stausee durch seine Turbine läuft, hat es einen Höhenunterschied von 15 Metern zurückgelegt. Zu viel Wasser darf es aber auch nicht sein. Selbst die 56 größeren Wasserkraftwerke in Schwaben, mit mehr als 300 Kilowatt Leistung, hätten damit Probleme. «Wir müssen aufpassen, dass bei Hochwasser nicht die Anlagen weggerissen werden», sagt Dr. Olaf Heil, Geschäftsführer der Bayerischen Elektrizitätswerke in Augsburg. Ähnlich wie Windkraftwerke bei zu kräftigen Stürmen müssen die Wasserkraftwerke deshalb bei Hochwasser mitunter abgeschaltet werden.

Ein Foto vom August-Hochwasser 2005 lässt erahnen, welchen Kräften die Wasserkraftanlagen bei Hochwasser standhalten müssen. Mit gewaltigem Druck stürzen die braungrauen Wassermassen der Iller am Kraftwerk in der schwäbischen Gemeinde Lautrach ungehindert durch die geöffneten Schleusen. «Hier strömen 1000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch. Das entspricht 1000 Tonnen Druck pro Quadratmeter», erklärt Heil. Bei Hochwasser bereitet ihm nicht nur die Wassermenge, sondern auch das Sorgen, was das Wasser dann mit sich führt. Ganze Baumstämme prallen unter Umständen mit ungeheurer Wucht auf die Anlagen.

Bei der letzten Überschwemmung in Schwaben mussten die Lechwerke insgesamt 6000 Tonnen Geschwemmsel - so wird das Treibgut hier genannt - entsorgen. Insgesamt betreibt die Lechwerke AG (LEW) in Schwaben 34 Wasserkraftwerke, die entlang der Donau, Iller, Günz, Wertach und Lech eine Milliarde Kilowattstunden Strom erzeugen. «Das entspricht der Strommenge, die eine Stadt in der Größenordnung von Augsburg benötigt.» Heil holt weiter aus: Etwa 755 000 Tonnen Kohlendioxid könnten jährlich durch die Wasserkraftwerke der LEW eingespart werden. Und zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es rund 7000 Wasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von knapp 5000 Megawatt.

Gesteuert und überwacht werden die LEW-Kraftwerke zentral vom nahe gelegenen Gersthofen aus. Auf zehn Fernseh- und zwölf Computerbildschirmen können die Mitarbeiter in der Kraftwerkswarte die Anlagen beobachten und die aktuellen Daten abrufen. In Gersthofen stand auch das erste Wasserkraftwerk der Lechwerke. 1898 wurde mit dem Bau des Lechkanals begonnen, zwei Jahre später erstmals Strom aus Wasserkraft erzeugt. Das Kraftwerk in dem Jugendstil-Bau ist auch heute noch in Betrieb. Allein im Stadtgebiet von Augsburg gibt es 37 Wasserkraftanlagen. Heil macht einen Kurztrip in die Geschichte: «Früher nutzte man die Energie des Wassers ausschließlich mechanisch», erklärt er. Mühlräder seien in der Fuggerstadt nur mit der Kraft des Wassers betrieben worden - zum Beispiel für die Ambosse der Schmieden und Maschinen der Textilfabriken. «Inzwischen aber sind die Mühlräder längst modernen Anlagen gewichen.»

In fließenden Gewässern steckt viel Energie. So plätschern in zehn Metern eines Bachgefälles etwa 100 Kilowatt Leistung hinab. Das entspricht in etwa der Motorleistung eines Autos mit 140 Pferdestärken. «Wir stehen zu 100 Prozent hinter unseren Wasserkraftanlagen und werden sie weiter ausbauen, wo es geht», sagt Heil. Er denkt dabei auch an die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union, deren Vorgaben bis 2015 umgesetzt werden müssen. «Sie vereinheitlicht den rechtlichen Rahmen für die Wasserpolitik», sagt er, «zur nachhaltigen und umweltverträglichen Wassernutzung».

Ganz unkritisch betrachtet Heil die Auflagen aber auch nicht: Die Vorgaben in Deutschland liegen wesentlich höher als in Frankreich, knurrt er. «Wenn in Frankreich ein Wasserkraftwerk an einem Fluss steht, dann ist das dort der natürliche Zustand. In Deutschland müssen die Betreiber zahlreiche Vorgaben umsetzen.» Gerne würden die Betreiber weitere Wasserkraftwerke bauen oder ausbauen, fügt er hinzu, schränkt aber sofort ein: «Die Wasserkraft hat große Probleme mit den Auflagen der Wasserrahmenrichtlinie.» Die geplante Wiederherstellung des ökologischen Zustands sei vielfach nicht umsetzbar und ein harter Brocken für die regenerative Stromerzeugung aus Wasserkraft. In ein ähnliches Horn stößt die Vereinigung der Wasserkraftwerke in Bayern. Die rund 500 Mitglieder des Vereins mit Sitz in München fordern unter anderem eine wasserkraftfreundliche Landesentwicklungs- und Regionalplanung.

So paradox es klingt - tatsächlich gibt es nach Ansicht von Umweltschützern in Schwaben bereits zu viele Wasserkraftwerke. Barbara Zach vom Bund Naturschutz in Bayern bedauert: «Die Gewässer sind bereits so stark ausgebaut, dass gerade in Bezug auf Wasserrahmenrichtlinie eine Umkehr notwendig ist.» Das Potenzial der Wasserkraft in Deutschland sei nun mal begrenzt. Als Energiequelle hat Wasserkraft deutschlandweit einen Anteil von knapp fünf Prozent an der Stromerzeugung. Geht es nach dem Willen des Bundes Naturschutz, wird sich dieser Anteil künftig auch nicht weiter deutlich erhöhen. Den Wildpoldsrieder Bürgermeister Arno Zengerle stört das nicht weiter. Seine 25-Kilowatt-Anlage am Dorfbach arbeitet zwar noch nicht Gewinn bringend, aber sie hat ihren festen Platz im schwäbischen Wasserkraft-System.


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