Berliner Umschau: Der Berliner Senat verabschiedete sein Mauer-Gedenkkonzept Geschrieben am Freitag, 07. Juli 2006 von Administrator Flucht in den „autentischen Ort"


Vielleicht kann man nirgens mehr über den Zustand der Gesellschaft lernen, als in den Denkmälern, die sie errichtet. So kommentiert die internetbasierte Tageszeitung "Berliner Umschau" das vom Berliner Senat verabschiedete Gedenkstättenkonzept zur Berliner Mauer. Der system- und zeitübergreifende Versuch, ein kollektives Geschichtsbild zur Herrschaftslegitimation zu errichten, hat auch die Ereignisse der Jahre 1989/90 ohne Schrammen überdauert. Nun hat der Berliner Senat sein Gedenkkonzept für die Mauer-Erinnerung verabschiedet.

Dabei trägt das 65 Seiten starke Papier schon ob seiner Eigenständigkeit das Mal des Notbehelfs. Sollte das Mauer-Gedenken doch ursprünglich gemeinsam mit der Bundesregierung vorgestellt werden, was der Regierungswechsel verhinderte. Und welche Positition die gegenwärtige Koalition zum Geschichtsbild ihrer Vorgänger hat, daraus macht sie kein Hehl. Erst jüngst eindrucksvoll bei der Vorstellung der Empfehlungen einer Expertenkommission zur DDR-Vergangenheit, deren Leiter, der Potsdamer Zeitgeschichtler Sabrow, inhaltlich vielleicht nicht unberechtigt, in der Form jedoch völlig unangemessen während der Übergabe an den Kultustaatsminister vorgeführt worden.

Im Gegensatz zum Vorentwurf vor einem Jahr liest sich die nunmehriger Berliner Konzeption zunächst fast versöhnlich. Keine Rabulistik in der Wortwahl, eine - angesichts des Gewohnten - fast schon sachliche Beschreibung des DDR-Systems und seiner nicht wegzudiskutierendenden diktatorischen Elemente. Da sich das Konzept ausschließlich auf die Mauer bezieht, spielen die Fragen der bewaffneten Abschottung des SED-Staates nach innen naturgemäß eine größere Rolle, als dies für eine Gesamtbetrachtung des östlichen Staates angemessen wäre. Erfreulich - und wohl der Koalitionsdisziplin geschuldet -, daß neben den Flüchtlingen und Fluchthelfern auch die im Dienst zu Tode gekommenen Grenzsoldaten zumindest eingangs Erwähnung finden.

Es geht, wie die Autoren unter Anleitung von Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) nahezu gebetsmühlenartig wiederholen, um die Bewahrung authentischer Orte. Was vor allem heißt: Weiterführung und gesicherte Finanzierung der bereits angelaufenen Vorzeige- und Touristenprojekte, insbesondere an der Bernauer Straße. Die bisherigen dezentralen Initiativen von Privatpersonen und Vereinen werden mit ein paar abfälligen Bemerkungen versehen, erhalten aber eine Existenzberechtigung; wobei unklar bleibt, ob dies nur für bestehende, oder auch zukünftige Vorhaben gilt. Abfällige Bemerkungen übrigens, die angesichts der Aktivitäten einiger Berufsopfer im Grunde noch zu freundlich sind, in diesem Fall jedoch nicht aus inhaltlichen Unterschieden verwendet zu werden scheinen. Es geht darum, die Touristenschau in Wedding/Mitte nicht zu gefährden. Selbstverständlich ohne einen „hollywoodhaften Wiederaufbau der Mauer als trivialisierten Themenpark", wie das gegenwärtige Mode-Todschlagargument der DDR-Forschung lautet. Ob eine Geisterbahn aus Mauerresten, längst nur noch rudimentär vorhanden, aus ihrem Zusammenhang gerißen und mit Infoecke und Buchshop versetzt unbedingt eine geringere Trivialisierung aus Sicht der den Wert von Originalität betonenden Zeitgeschichte ist, bleibt eine andere Frage.

Wie übrigens auch die Fixierung auf die „authentischen Orte" so eine Sache ist. Es stimmt wohl, daß stumme Zeitzeugen für die Vermittlung von Geschichte eine nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung haben. Doch verbunden mit einem Erinnerungskonzept wird man den Verdacht nicht los, hier soll interpretierte Geschichte mit ständigem Verweis auf die überkommenen Monumente unangemessen objektiviert werden. Mal abgesehen davon, daß es nicht mehr sehr viele dieser Orte gibt und hier rasch eine Monopolisierung des akzeptablen Erinnerns mit dem Argument eben dieser Originalität durchgesetzt werden kann.

Letztentlich geht es bei der Angelegenheit um Geschichtspolitik, die auch in der Einleitung ganz offen als „fortwährende Aufagbe bei der Bewältigung der Folgen der SED-Diktatur" genannt wird. So viel Offenheit zeichnet in gewißer Weise aus und darf verlangen, daß der Kommentator auf die Umsetzung des Konzeptes wartet.

Einige Ahnungen hat man jedoch und sie spiegeln eine vorherrschende Sichtweise wieder. So wird etwa im Stadtbild in der Regel der Verlauf der äußeren Mauer markiert - also jener, die für die West-Berliner wohl bedrückend, jedoch nicht unüberbrückbar war. Die innere Mauer, an der die DDR-Bürger unter Androhung des Schußwaffengebrauchs zurückgehalten wurden, scheint weniger errinerungswürdig. Völlig unverständlich ist, weshalb der Systemwechsel im Osten eine Folge des Mauerfalls gewesen sein soll, tatsächlich verlief die Geschichte exakt anders herum. Und den Weg zur Einheit zu betonen, wenn zuvor Menschenrechte und Freiheit als bestimmende Werte herausgestellt werden, bedeutet praktisch die Behauptung, selbige wären eben nur durch Eingliederung in das bundesrepublikanische Staats- und Gesellschaftssytsem zu verwirklichen. Was im Grunde eine Unverschämtheit darstellt, spricht es der DDR-Volksbewegung doch praktisch die eigenständige Handlungsfähigkeit ab und würdigt die nationale Einheit Deutschlands zu einer Frage der Systemüberlegenheit herab. Aber letzteres ist man ja gewohnt. Der Grund für diese Sicht ist wohl der, daß die neuere deutsche Geschichte vom Westen aus dessen Sicht geschrieben wird und die DDR 1990 quasi „nach Deutschland" und nicht mit Westdeutschland zusammen kam. Insofern ist aus dem Selbstverständnis der westdominierten Zeitgeschichte die Entwicklung im Osten erst dann interessant, wenn sie Auswirkungen auf den Westen hat. Nicht der Sturz Honneckers, der sofort zu einer spürbaren Entlastung in der drückenden Stimmung des Herbstes 1989 führte, sondern die Trabanten auf dem Kurfürstendamm sind von eigendlicher Relevanz.

Das ist nicht gut für die innere Einheit und vielleicht ein Grund dafür, weshalb es mit ihr nicht vorankommt. Aber so sind halt die Verhältnisse.

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