Vor dem Hintergrund der europäischen Einigung hat die Ostseeregion einen hohen Stellenwert, könne sie doch im Zuge der Erweiterungen der Europäischen Union zu 'dem europäischen Binnenmeer' und 'einer der Zukunftsregionen Europas' werden (Schultheiß S. 27 und Kindsmüller S. 37 in Wellmann). <p> Elf Jahre sind mittlerweile seit dem Fall des 'Eisernen Vorhanges' zwischen Ost und West vergangen und transnationale Kooperation habe sich zum 'Tagesgeschäft' entwickelt, viele würden sich aber auch noch schwer tun (vgl. Wellmann S. 7). Dabei kommt der Zusammenarbeit im Tourismus eine immer größere Bedeutung zu, kann dieser doch als 'Zukunftsindustrie des 21. Jahrhunderts' (Opaschowski S. 26) einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung leisten. Und weil die Ostseeregion nicht dauerhaftes schönes Wetter garantieren kann (vgl. Kapitel 2.5), spielt der Kulturtourismus, auch als saisonverlängernde Maßnahme, eine wesentliche Rolle. Lübeck kann dabei seine Position als 'Tor zur Ostsee' festigen und ausbauen. <p> Das Thema der Diplom-Arbeit wurde von der Lübeck und Travemünde Tourismus-Zentrale (LTZ) angeregt. Sie ist Mitglied diverser transnationaler Organisationen in der Ostseeregion und verfolgt damit eine Strategie zur Vermarktung der Hansestadt Lübeck. Ausgangspunkt war die Frage nach der Notwendigkeit einer Mitarbeit im Interreg-II-C-Projekt 'HOLM - Pearls of the North' der Europäischen Union (EU), mit Teilnehmern aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern sowie Schweden und Norwegen, welches zum großen Teil identische Ziele anderer Projekte verfolgt, in denen die LTZ bereits aktiv ist. Aufmerksamkeit erregte das HOLM-Projekt beim Verfasser im Rahmen eines Praktikums in der LTZ 1998. Während der daran anschließenden Tätigkeit in dem Unternehmen wurde das Projekt aktiv begleitet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind in diese Arbeit eingeflossen. <p> Bereits die ersten Nachfragen bei anderen transnationalen Projekten ergaben, daß dort enge thematische Zusammenhänge zum HOLM-Projekt existieren. Allerdings scheint die Motivation einer Kooperation, sowohl innerhalb des HOLM-Projektes als auch mit anderen Projekten, eher gering zu sein, wie im Hauptteil noch gezeigt wird. Weiterhin konnte ermittelt werden, daß die Anzahl transnationaler Kooperationen mittlerweile unübersichtlich geworden ist, so daß niemand der befragten Experten auf dem Gebiet der Ostseekooperation weder die genaue Anzahl, noch deren konkrete Aufgaben kennen. Es fehlt eindeutig eine Koordinationsstelle. <p> Die Problematik läßt sich nahezu auf alle Akteursebenen anwenden: So faßt Wellmann (S. 7) vom Schleswig-Holsteinischen Institut für Friedenswissenschaften zusammen: 'Mittlerweile ist in der Ostseeregion ein nur noch schwer überschaubares Geflecht von großen und kleinen Organisationen, informellen Netzwerken, dauerhaften Partnerschaften und punktuellen Kooperationsbeziehungen entstanden.' Dies bestätigt der Geschäftsführer der 'Baltic Sea Tourism Commission' (BTC): 'Es gibt sehr viele Organisationen im Ostseeraum und die eine weiß von der anderen nicht, was sie macht' (e-mail vom 23.11.1999). Nach Mitteilung des Europaministeriums des Landes Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile rund 70 Organisationen, Gremien und Initiativen auf staatlicher und nicht-staatlicher Ebene (Europa ABC, Blatt 3, Stand Ende 1999). Auf Nachfrage im Ministerium stellte sich heraus, daß selbst dort die genaue Anzahl nicht bekannt sei und es auch keine Übersicht über diese Organisationen usw. gebe. Der Wert ergebe sich nur aus einer Schätzung. Die Angaben der Mitarbeiter des HOLM-Projektes im Fragebogen variieren von 'zehn' bis 'mehrere tausend'. <p> In der europäischen Raumordnung sieht Ahlke (S. 374) das Hauptproblem in der großen Heterogenität der Interreg-II-C-Initiativen: hier biete sich ein 'breites Themenspektrum mit einer Vielzahl unterschiedlicher Projektarten sowie große Aktionsräume mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Interessen. Es bestehe die Gefahr, daß aufgrund der zu großen Anzahl kleinerer Projekte, die untereinander wenig Gemeinsamkeiten aufweisen, keine klare Profilierung möglich sei. Es sollte ein 'raumordnerischer Mehrwert' entstehen und dieser auch als solcher erkannt werden. Die Ostseekonferenz der Gewerkschaften bemerkt im Juli 1999, daß auch 'die Vielzahl der heute in der Ostseeregion durchgeführten gewerkschaftlichen Projekte (...) die Frage nach Formen und Strukturen der Koordinierung (...) aufwerfen' und daß es 'bislang nur wenige Ansätze einer Vernetzung, eines Erfahrungsaustausches oder der Herstellung von Synergien gibt' (Vision Ostsee 2010, S. 7). <p> Thomas (S. 115) bemängelt, daß es 'kein Gesamtkonzept für eine europäische Tourismuspolitik' gebe. 'Eine Vielzahl von Akteuren innerhalb der Kommission' (Generaldirektionen) beschäftige sich in 'unkoordinierter Weise mehr oder weniger mit dem Tourismus.' Diese seien 'oft (...) über die aktuellsten touristischen Projekte der einzelnen Akteure nicht informiert, so daß die Gefahr gegenläufiger Aktionen und unzureichend wahrgenommenen Synergieeffekte hoch' sei. Die dadurch bedingten Informations- und Koordinationsprobleme würden nach ihrer Meinung ein zusammenhängendes Vorgehen innerhalb der Kommission verhindern. <p> Schließlich sieht Fürst (S. 56) sogar Gründe für das Scheitern transnationaler Kooperationen in der zu großen Anzahl der Teilnehmer an den EU-Projekten, der Heterogenität in den Interessen und Ungleichheit in der Bereitschaft, für die regionale Kooperation Zeit und Personal zu investieren. Daraus läßt sich die These ableiten: Es gibt eine unüberschaubare Anzahl transnationaler Kooperationen auf dem Gebiet des Kulturtourismus in der Ostseeregion, die trotz teilweise identischer Methoden und Ziele nicht miteinander kooperieren. Welchen Beitrag zur Problemlösung kann hierzu die Geographie leisten? Diese Arbeit untersucht anhand des HOLM-Projektes, inwieweit eine Kooperation auf dem Gebiet des Kulturtourismus erfolgt. Im Vergleich dazu werden andere ausgewählte Projekte beschrieben, die den Verantwortlichen erlauben, Zusammenhänge sowohl innerhalb als auch außerhalb des Projektes zu erkennen und daraus entstehende Synergien, wie z.B. optimale Ausnutzung von finanziellen und personellen Ressourcen, zu nutzen. <p> Die Notwendigkeit des vernetzten Denkens im Tourismus betont Müller (in Haedrich, S. 485): 'Was wir brauchen, ist mehr Einsicht und Verständnis für die Zusammenhänge, für Ursachen und Wirkungen. Im Tourismus als 'Querschnittsdisziplin' verbindet sich alles mit allem. Alle tourismuspolitischen Entscheidungen sind Entscheidungen in einem komplexen System. Doch in unserer Zeit der Spezialisierung haben wir weitgehend verlernt, in Zusammenhängen zu denken. (...) Unser Blickpunkt hat sich von der Betrachtung starrer Strukturen zu lösen und muß sich vermehrt flexiblen Prozessen zuwenden. Vernetztes Denken einerseits und Prozeßdenken andererseits ist vonnöten, wenn wir übergeordnete Steuerungs- oder Regelungsprinzipien erkennen wollen. Die Forderung nach globalem Denken wird auch in Tourismuskreisen immer lauter. Doch diese Denkweise will geübt sein.' <br> Auch die Geographie ist eine 'Querschnittsdisziplin'; sie kann Zusammenhänge für eine optimale touristische Entwicklung von Regionen aufzeigen und somit einen wichtigen Beitrag als Koordinator zwischen den im Tourismus beteiligten Akteuren leisten.
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