Stichworte: Lebensstil, Soziologie, Medizin, Mortalität, Tod, Lebenserwartung, Krankheit, Gesundheit, Prävention, Versicherung <p>
Eine große gesellschaftliche und sozialpolitische Herausforderung der Zukunft wird von einer Entwicklung ausgehen, die gemeinhin als ‘demographische Alterung der Gesellschaft’ bezeichnet wird. Angesichts der weiteren Zunahme der Lebenserwartung und des damit fortschreitenden Alterungsprozesses der bundesdeutschen Bevölkerung ist zu vermuten, dass in den nächsten Jahren die Nachfrage seitens politischer und anderer gesellschaftlicher Institutionen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zusammenhang zwischen sozialen Dimensionen und Sterblichkeit zunehmen wird. <p> Dem stehen eklatante Defizite bezüglich theoretischer Reflexion und vor allem soziologisch-empirischer Daten gegenüber: Verglichen mit der soziologischen Forschungstradition in Großbritannien, den skandinavischen Ländern und den Vereinigten Staaten liegen für die Bundesrepublik Deutschland nur spärliche Daten zu Mortalitätsprozessen vor. <br> Aus der sozialwissenschaftlichen wie medizinischen Forschung sind zwar Korrelate der Mortalität (wie zum Beispiel sozioökonomische und soziostrukturelle Dimensionen ebenso wie verhaltensbezogene Risikofaktoren) bekannt; Bezüglich der hierarchischen Struktur, der Wirkungsmechanismen und vor allem der kausalen Relevanz einzelner möglicher Einflussgrößen besteht jedoch weiterhin Klärungsbedarf. In der Literatur vorgeschlagene Erklärungsansätze der Mortalität zielen (auch) auf Unterschiede im Lebensstil. Deren empirische Überprüfung bleibt jedoch oft mangels geeigneter Meso- und Mikrodaten lückenhaft. <p>
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich nicht auf eine – wegen mangelhaften Datenmaterials häufig anzutreffende – eindimensionale Verknüpfung von makrosoziologischen Dimensionen (wie Sozialschicht und Geschlecht) mit Mortalitätsdaten. Ziel dieser Arbeit ist vielmehr, die absolute und relative Bedeutung grundlegender soziologischer Dimensionen für die Mortalität zu erhellen und durch eine Verfeinerung dieser Dimensionen die hinter den makrosoziologischen Strukturen wirksamen Prozesse (Integration, soziale Kontrolle, Belastungsgrößen, lebensstiltypisches Verhalten) zu eruieren. <br> Ein fruchtbarer Weg stellt dabei die Arbeit mit epidemiologischen Daten dar, da derartige Studien i.d.R. neben klassischen sozioökonomischen und -strukturellen Variablen auch verhaltensbezogene und medizinische Parameter beinhalten. Außerdem sind sie oft longitudinal mit einer ausreichenden Fallzahl an Probanden angelegt. <p> Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit basiert deshalb auf einem von den Sozialwissenschaften bislang wenig beachteten, epidemiologischen Datensatz: Dem WHO-MONICA-Projekt, das im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit dem Institut für Epidemiologie der GSF München für die vorliegende Arbeit zur Verfügung stand. Das Forschungsprogramm „Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease“ (MONICA) ist eine internationale, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) initiierte Studie, die Personen im Alter von 25-64 Jahren mit deutscher Staatsangehörigkeit und einem Wohnsitz in der Region Augsburg umfasst. <p>
Im empirischen Teil nimmt aus den o.g. Gründen die Analyse des Zusammenhanges zwischen makrosoziologischen Kategorien und verhaltens- also lebensstilbezogenen Angaben großen Raum ein. Aus den anschließenden zahlreichen multivariaten Verlaufsdatenanalysen gehen die Kategorien Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Konfession und Netzwerkstruktur als die bedeutendsten sozialen Einflußgrößen auf die Mortalität hervor. Darüber hinaus stellen Alkohol- und Tabakkonsum die wichtigsten mortalitätsrelevanten Lebensstilaspekte dar. <br> Der eigenständige Einfluss der eben genannten sozialen Kategorien bleibt beachtlicherweise auch nach Kontrolle des Lebensstils und objektiver sowie subjektiver Gesundheitsvariablen (wie Blutparameter, Puls und subjektiver Gesundheitszustand) empirisch relevant. Aus den gefundenen Zusammenhängen werden schließlich Schlussfolgerungen zu möglichen kausalen Ursache-Wirkungs-Beziehungen abgeleitet. <p> Angesichts des fortschreitenden Alterungsprozesses der Gesellschaft könnten soziale Unterschiede in der Mortalität künftig zu einem Konfliktpotential kumulieren. Nicht zuletzt ist die Identifikation sozial bedingter Gesundheitsdifferenzen bedeutend für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und für politische Verhältnisprävention. Dies unterstreicht die Notwendigkeit und Bedeutung soziologischer Mortalitätsstudien wie diese. |